grisella´s geschichte


Ich erzähle Dir eine Geschichte. Sie ist meine Geschichte. Sie ist ein Flickenteppich aus Erinnerungen. Sie ließen mich zu dem werden, was ich bin.
„Sag mir drei Begriffe!“-„Rose, Prinz, Kind.“
Wie ich es liebte, wenn sich vor meinen Augen eine märchenhafte Welt entfaltete. Ich sah den großen, verwilderten Garten mit seinen uralten Rosenstöcken, dem kleinen Feenprinzen, der sich jeden Morgen, wenn die Blüten sich dem neuen Tag öffneten, in den Tautropfen spiegelte. Ich war dann das Kind, das voll Staunen anfing, sich vorsichtig...zaghaft zu drehen, um im Tanz teilzuhaben an den leichten, betörenden Bewegungen der übrigen Feen. 
„...Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“
Ich kann gar nicht sagen, wie viele Geschichten ich erzählt bekommen habe über die Jahre meiner Kindheit. Meist hörte und verlangte ich sie, wenn wir auf dem Weg zu meiner Großmutter waren, der Mutter meiner Mutter. Sie besaß ein Blumengeschäft in unserer Stadt. Jeden Nachmittag gingen wir hin, um zu helfen. Das heißt, meine Mutter half und ich spielte. Nicht wie andere Kinder spielte ich. Ich hatte mein eigenes Reich. Ein wilder Garten war meine Welt. Enten, Katzen wohnten dort und auch Feen gab es dort...im Geheimen. Ich baute mir Höhlen, ich säte noch mehr Blumen, bastelte Kränze und spielte mit den Kätzchen. Es war meine eigene kleine Welt. Hier kannte ich mich aus, hier tauchte ich ein.
Wenn ich mich zurückerinnere, dann sehe ich hauptsächlich meine Mutter. Ihre Kreativität und Fantasie haben mir eine bunte Welt gemalt. Ich brauchte nicht mehr. Mein Vater war damals viel im Ausland. Ob es wirklich so war oder nur in meiner Erinnerung, dass weiß ich nicht. Er arbeitete an einem Bohrturm in Griechenland, in England... Später kamen die Jahre der Umschulung. Auch meine Eltern waren anscheinend so nicht glücklich.
Wenn ich mich an meine frühe Kindheit erinnere, so bringe ich die Person meines Vaters sowohl mit großer Freude, als auch mit großem Schmerz in Verbindung. Wie liebte ich es, mit ihm zu kuscheln und zu toben...und dann musste er wieder weg...und dann war er nach Wochen (?) Monaten (?) wieder da. Ein völlig Fremder stand vor mir, bis er wieder zu meinem geliebten Vater wurde. Ich verstand nicht, warum mein Vater erst für mich der Mittelpunkt war und dann...plötzlich...weg und dann wieder...da. Ich fühlte mich enttäuscht, verraten. Wie kann er mich lieben und mich dann allein lassen. Entweder liebte er mich gar nicht wirklich oder es gab etwas, dass wichtiger war als ich. Wichtiger als ich? Was ich über die Jahre verstanden habe ist, dass man es sich gut überlegen soll, wie nah man jemanden an sich heran lässt. Eine Mauer kann schützen oder einsam machen. Eine Beziehung kann schützen oder einsam machen.
In meinem Garten war ich sicher vor diesen Gefühlen, für die mir damals noch der Name fehlte. In meinem Garten wurden sie überdeckt von meiner Zauberwelt. Hier baute ich mir meinen eigenen Kosmos, den ich verstand.
Neben meiner Oma lebten auch ihre beiden Schwestern im selben Haushalt. Ich wurde von ihnen allen auf Händen getragen.
Nun darf man sich den Haushalt nicht als normal vorstellen, was immer das für jeden einzelnen bedeutet. Aber das wusste ich damals schon: dieser war definitiv anders.
Das ganze Grundstück war, im nachhinein betrachtet... ungewöhnlich. Mitten in einer Stadt eine (für mich) riesige Ansammlung von alten Häusern, die alle meiner Oma gehörten. Alte, uralte Häuser waren das. Angefüllt mit so vielen spannenden Sachen, alten Sachen, uralten Sachen. Es gab Räume, die, als ich sie entdeckte, wirkten, als hätte man eben noch darin zu Tisch gesessen und dann über die Zeit vergessen, dass es sie noch gab. Ging man die Treppe über dem Laden hinauf, dann gab es dort noch das Jugendzimmer meiner Mutter...vergessen. Hat man so etwas nicht selbst erlebt, dann hört es sich vermutlich an wie eine Fantasie.
Was sich in meiner Erinnerung festgeheftet hat ist der Duft von Wicken. Er gehört zu meiner frühen Kindheit, wie eine Lieblingspuppe.
Bis ich zur Schule ging war meine Welt klein, überschaubar, stimmig. Sie roch nach Blumen und schmeckte nach Königsberger Klopsen und meine liebste Tischunterlage war über und über mit Obst bedruckt. Merkwürdig, was sich einprägt.
Irgendwann, es muss noch früh gewesen sein, mein Vater war in Griechenland, lebte ich eine ganze Zeit bei meiner Oma und meinen Tanten. Meine Mutter besuchte meinen Vater, was damals nicht „mal schnell“ ging. Ich sehe noch ein hohes Bett mit vielen Matratzen, wie bei der Prinzessin auf der Erbse und so wurde ich auch behandelt.
Ob ich meine Mutter vermisste, weiß ich heute nicht mehr.
Einen großen Platz in meiner Erinnerung nimmt unser gemeinsamer Aufenthalt in England ein. Ich war 5 Jahre alt. Wir durften meinen Vater begleiten, der dort am Bohrturm arbeitete. Diese Zeit besteht für mich aus vielen verschiedenen Mosaiksteinchen aus Bildern, Gerüchen und Gefühlen. Wer kennt schon Shampoo Flaschen mit Puppenköpfen oder war es Waschmittel. Wer weiß, wie selbstgemachtes Brombeerwassereis in dem kleinen Laden an der Ecke schmeckt bei Miss Witlox (?). Ich sehe noch das Bilderbuch mit einem Mond und Sonne aus der Bücherei vor mir.
pomponella, enkelin von raubritter






Und vor einigen Jahren sah ich die Rosen der englischen Gärten meiner Erinnerung: Raubritter.
Und auch etwas anderes tauchte wieder auf: die Beatlekühe. Natürlich hießen sie nicht wirklich so, aber was liegt bei der Haarpracht von Yorkshire Rindern näher?
„Ein sehr schöner Text, Corinna! Ich bin gespannt, wie es weiter geht.“ Etwas verlegen nehme ich das Lob an. Lisa ordnet die Zettel und legt sie dann beiseite. “Was soll heute Dein Thema sein?“ Woher soll ich das wissen? Wer ist denn hier der Profi? Ich sitze schließlich nur hier, weil ich 10 Stunden Selbsterfahrung für meine Coaching Ausbildung nachweisen muss. Folglich habe ich auch kein persönliches Problem, das mich hertreibt. Naja, zumindest kein offizielles oder analysierenzwertes, finde ich. Außerdem hasse ich es, so im Mittelpunkt zu stehen. Ich will schließlich lernen, anderen zu helfen. Das Aufschreiben meiner Lebensgeschichte war auch ihre Idee. „Ihre“ ist Lisa.
Lisa kenne ich seit einer Veranstaltung zum Thema „Life-Balance“. Sie ist psychologische Heilpraktikerin mit diversen Zusatzausbildungen, deren Namen mir immer wieder entfallen: irgendetwas mit NLP-Resonanz-Irgendwas, Aufstellungssystem oder systemische Aufstellung. Den Rest habe ich vergessen. Besonders Ihre ruhige, sichere Art sind mir sofort aufgefallen und Ihre ganzheitliche, liebevolle Sichtweise auf den Menschen. Daher bin ich nun bei ihr, sitze hier und überlege mir Probleme, die ich nicht habe. Ich kann bestimmt davon profitieren zu sehen, wie eine Expertin arbeitet. Ein Problem, ein Problem, mir fällt nichts ein...
„ Corinna, bist du zufrieden?“- „Wie, zufrieden?“-„ Läuft alles so, wie du es brauchst? Oder anders: Auf einer Skala von 1 bis 10, wie zufrieden bist Du?“-„5!“ das war jetzt aber sehr spontan. Lisa lächelt: „Da ist wohl noch Luft nach oben.“ Stimmt, mich überrascht meine Antwort selbst...es ist noch Luft nach oben...

„Was ist Deine Vision von Deiner Zukunft? Denk nach, horch in Dich hinein. Hast du Lust auf eine kleine Traumreise?“
quelle

Warum nicht? Kann ich bestimmt für später gebrauchen, als Erfahrung. Für später, wenn ich Coach bin, vielleicht...

„ Setz Dich bequem hin, Deine Füße berühren den Boden, sie erden Dich...“ Etwas skeptisch bin ich schon. Was soll das bringen. Bei mir „klappt“ das sowieso nicht. „...Du bist jetzt an dem Ort, an dem Du geborgen bist, Dich wohl fühlst, der „Deine Quelle“ ist...“ Ich kann das nicht...bei mir geht das ni...ich stehe auf einer hohen Düne, den Wind in den Haaren, herrlich. „Was siehst Du?“- Blaues Wasser, Weite, Sonne,... „ Was hörst Du?“- Es rauscht, der Wind kringelt sich in meine Ohren... „Was fühlst Du?“- Wärme, meine Arme werden leicht gestreichelt...der Wind zauselt meine Haare...“Unter Deinen Füßen... spürst Du etwas? Wie fühlt es sich an?“ – Hi, es kitzelt angenehm. Sand bewegt sich leicht unter meinem Gewicht. „ Was riechst Du?“ Riechen?...ja...es riecht nach...Meer... „Vielleicht schmeckst Du etwas? Wonach schmeckt es?“ Ich merke, wie meine Lippen prüfen, ob es etwas zu schmecken gibt...ja...es schmeckt nach Salz. Mein Mund verzieht sich zu einem Lächeln. „ Schau Dich um. Nimm alles in Dir auf, was Du siehst, hörst, fühlst, riechst, schmeckst. Es gehört zu Deiner Quelle...Du hast Zeit, genieße es...“ ja, ich genieße es. Es fühlt sich nach Frieden an, aber auch nach Kraft...Der Wind in den Haaren...Ein Gefühl von Freiheit und Kraft...


wind in den haaren, sand unter den füßen, geschmack nach salz
„Suche Dir nun einen Platz, an dem Du Dein Leben gut überblicken kannst. Was ist Dir wichtig? Welche Menschen, welche Ereignisse...“- Ich habe nicht das Gefühl wirklich etwas zu sehen. Ich spüre, wie ich abgleite...vollkommen entspannt... „Was ist Dein Traum für Dein Leben. Lass Dir von Deinem Unterbewusstsein ein Symbol dafür schenken...“- Entspannung, Entspannung, Entspannung... „...tauchst Du langsam wieder auf...“ Entspannung... „Corinna!“- „Ja?“- „ Hat Dir Dein Unterbewusstsein ein Symbol geschenkt?“- Oh Mist, ich war wohl wie man so sagt richtig „Tiefenentspannt“. „Äh, ja!“ Mist, Mist, Mist. Jetzt ist es zu spät mich als „eingeschlafen“ zu outen. „ Ein...ein Pferd?“- „ Fragezeichen oder Ausrufezeichen?“- „Ausrufezeichen.“ Oh, mein Gott, ein Pferd. Toll, mein Ziel ist es reiten zu lernen oder einen Stall auszumisten. Kann mir nicht etwas spontan einfallen wie: ein „Stern“ der für andere leuchten soll oder ein „Herz“ für mehr Liebe unter den Menschen...? „Was fällt Dir ein zu „Pferd“?“- „ Reiten, ausmisten, schnell, Kraft, Freiheit,...Freiheit.“- „Was bedeutet „Freiheit“ für Dich?“ Ja, was bedeutet Freiheit für mich...und Kraft...und ausmisten. Ich fühle mich eingesperrt, ich muss  etwas ändern, ich muss „ausmisten“, ich brauche Freiheit, ich habe Kraft...der Wind in den Haaren, der Sand unter den Füßen, die Weite des Meeres...

Ich möchte gar nicht weiter darüber reden. Lisa ist sensibel genug dies zu registrieren. Es ist wie eine Saat, die gesetzt worden ist.

Ich nehme zwei Werte mit: Kraft und Freiheit.

In Gedanken versunken fahre ich nach Hause... der Wind in den Haaren...

Die Saat keimt.


Als ich zur Schule kam, musste ich aus meiner eigenen kleinen Welt auftauchen. Die vielen fremden Kinder erschreckten mich. Bisher hatte ich nicht viel Kontakt zu ihnen gehabt. Bei uns zu Hause gab es kaum Kinder in meinem Alter und gegen einen Kindergarten hatte ich mich auch erfolgreich gewehrt. Wer tauscht schon einen Garten und Blumen-Prinzen ein?

Meine Schule war ein paar Straßen neben dem Blumenladen meiner Oma. Wenn ich morgens zum Unterricht ging, schaute ich vorher dort vorbei. Neben der Schule gab es einen kleinen Kiosk, der die „besondersten“ Luftballons der Welt hatte: lange Würmer, die wie in verschiedene Farbeimer getunkt aussahen. Wenn ich mir da einen aussuchen durfte...den oder den oder den mit mehr blau?

Schule war für mich okey. Ich weiß nicht, ob es damals allgemein so war oder ob es den anderen Kindern anders ging als mir. Da wir jeden Tag zu meiner Oma gingen, das hatte sich so eingespielt, gab es für mich keine wirklichen Spielfreunde oder nur selten. Ich glaube nicht, dass ich es vermisste zu der Zeit.

„Ich bin ein kleiner Eskimo...“ Ich war bei einer Vorführung beim „Vogelschießen“ der kleine Eskimo in einem Singspiel. An unterentwickeltem Selbstbewusstsein litt ich anscheinend nicht.

Das kleine Gartenreich bei meiner Oma war immer noch meine Welt. Ein sicherer Anker, der mich aber auch lange Zeit festhielt und mir aber auch den Kontakt zu anderen Kindern erschwerte.

Besonders schmerzhaft merkte ich es, als ich mit meiner Familie in einen 50 km entfernte Kleinstadt umzog. Mein Vater, nach einer Umschulung mittlerweile Ingenieur, hatte eine neue, bessere Arbeitsstelle bekommen. Der Schulwechsel war schwer für mich. Immer wieder saß ich während des Unterrichts draußen, weil ich Bauchschmerzen hatte. Ich fand mich nicht zurecht. Alles, was mein bisheriges Leben ausgemacht hatte, gab es so nicht mehr.

Es hörte ganz plötzlich auf mit einer Freundin: Astrid. Und ihr folgten noch viele andere, als wenn etwas aufgebrochen wäre und nun aus der Ritze ein anderes Leben sich durchzwängte. Ich war angekommen in einem neuen Abschnitt.

„Jungs die Mädchen“-„Nö, Gummitwist...mit Einbein. Ich fang an!“





„Worüber möchtest Du reden? Über deine Vision?“ Wenn Lisa wüsste, wie mich unsere letzte Stunde die ganze Woche über beschäftigt hat. Ich vermute...sie weiß es. Wie wäre es mit etwas unverfänglicheren, etwas, dass nicht mit mir zu tun hat?

 „ Ja, gute Idee:“ - ich Feigling. „ Du hast von ausmisten und Freiheit gesprochen. Aber das weißt Du ja selbst. Was bedeutet Freiheit für Dich?“-

„ Selbstbestimmung?“- „Fragezeichen oder Ausrufezeichen?“- „Ausrufezeichen!“-

„ Du möchtest also selbst bestimmen über...?“- „Mich!“ Lisa sieht mich interessiert an. „Was bedeutet selbst bestimmen über Dich?“ Ja, was bedeutet das für mich? Wieso schafft Lisa es immer wieder, dass ich Dinge sage, die mich selbst überraschen. Ich muss über meine eigenen Antworten nachdenken. Ist schon irgendwie verrückt. Während ich noch in allen Schubfächern nach der Antwort suche, sagt Lisa: „ Ich habe hier eine Handvoll verschiedener Stifte. Die Farben spielen keine Rolle, sind nur zur besseren Unterscheidung. Nimm zuerst einen Stift und leg ihn auf den Boden. Das ist Corinna.“
Schon klar. Hört sich reichlich albern an. Aber kompatibel wie ich bin suche ich mir einen schwarzen Stift, schwarz macht schlank, aus und platziere ihn in die Mitte. „Für jede Person, die in Deinem Leben eine Rolle spielt leg einen weiteren Stift so dazu, dass man an der Lage erkennen kann, wie die Person zu Dir steht.“ Ich greife nach einem blauen Stift und erkläre, dass das Tjark, mein Mann ist und lege den Stift so zu dem Corinna-Stift, dass die Spitze genau auf den anderen Stift trifft. Wie ein „T“.

„Was denkt die Corinna über den Tjark?“ Lisa zeigt auf die Stifte. Die Corinna denkt, dass sich das reichlich bescheuert anhört. „ Die Corinna denkt, dass das nicht nah ist. Ich glaube mir gefällt das nicht.“-„ Du meinst, der Corinna gefällt das nicht. Was denkt Tjark darüber?“ Was weiß ich, was der dämliche Tjark-Stift über den Corinna-Stift denkt. Vielleicht denken die Stifte ja gar nichts? „ Der Tjark denkt, dass DIE Corinna sich wegdreht.“ Es kommen noch 2 Stifte für Tjarks Töchter dazu, 2 Stifte für meine Lena und Ole, 1 Stift für meine Arbeit, für Tjarks Arbeit, seinen Handballsport, seinen Verein. Ich lege einen Stift nach dem nächsten, erzähle und erkläre.


„Komm mit mir in den Garten!“ Ich folge Lisa in ihren „Ökogarten“, wie mein Mann Tjark sagen würde: Halbgezähmte Wildnis. Mir gefällt’s.


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